Mit Urteil vom 1. August 2025 - C-665/23 - hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) wichtige Klarstellungen dazu geliefert, unter welchen Bedingungen der Anspruch eines Zahlungsdienstnutzers auf Rückerstattung bei nicht autorisierten Zahlungsvorgängen verloren gehen kann. Diese Entscheidung ist besonders relevant für alle Nutzer von Zahlungs- und Karteninstrumenten sowie für Zahlungsdiensteanbieter.
Der zugrunde liegende Sachverhalt spielte sich in Frankreich ab. Der Kläger (IL) erhielt nach eigenen Angaben eine von Veracash SAS ausgegebene Zahlungskarte nie, obwohl diese am 24. März 2017 versandt worden war. Gleichwohl kam es in der Folgezeit zwischen dem 30. März und dem 17. Mai 2017 zu mehreren Abhebungen von seinem Konto. IL machte geltend, diese Vorgänge nicht autorisiert zu haben. Erst am 23. Mai 2017, also fast zwei Monate nach der ersten Abhebung, informierte er Veracash über die Vorgänge. Das Berufungsgericht wies die Klage mit der Begründung ab, die Anzeige sei nicht „unverzüglich“ erfolgt, obwohl sie noch innerhalb der in der EU-Zahlungsdiensterichtlinie vorgesehenen 13-Monatsfrist lag. Der Court de cassation in Frankreich legte die Frage dem EuGH vor, um zu klären, ob eine verspätete Anzeige – auch wenn sie innerhalb der 13-Monatsfrist erfolgt – automatisch zum Verlust des Erstattungsanspruchs führt oder ob dafür Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit des Nutzers vorliegen müssen.
Der EuGH stellt nun klar, dass Art. 58 der Richtlinie 2007/64/EG (Payment Services Directive, PSD) zwei kumulative Voraussetzungen enthält:
- Zum einen muss der Zahlungsdienstnutzer seinen Dienstleister unverzüglich nach Kenntnis von einem nicht autorisierten Zahlungsvorgang informieren,
- zum anderen darf die Mitteilung in keinem Fall später als 13 Monate nach dem Belastungstag erfolgen.
Es reicht also nicht aus, sich allein auf die Einhaltung der 13-Monatsfrist zu berufen, wenn die Anzeige nicht zeitnah nach Kenntniserlangung erfolgt ist. „Unverzüglich“ bedeutet dabei, dass die Anzeige ohne schuldhaftes Zögern abzugeben ist, wobei stets auf den konkreten Einzelfall abzustellen ist. Zu berücksichtigen sind etwa die technischen und organisatorischen Möglichkeiten des Nutzers sowie der Zeitpunkt, zu dem er Kenntnis hatte oder hätte haben können.
Hinsichtlich der Haftung verweist der EuGH auf Art. 60 und 61 der Richtlinie. Grundsätzlich muss der Zahlungsdienstleister nicht autorisierte Zahlungsvorgänge unverzüglich erstatten, wenn der Nutzer seiner Anzeigepflicht nachgekommen ist. Hat der Nutzer jedoch vorsätzlich oder grob fahrlässig gegen diese Pflicht verstoßen, trägt er den Schaden selbst. Betrügerisches Verhalten führt ebenfalls zum vollständigen Ausschluss des Anspruchs. Bemerkenswert ist, dass bei mehreren aufeinanderfolgenden unautorisierten Zahlungsvorgängen jeder einzelne separat zu prüfen ist. Der Nutzer verliert den Anspruch nur hinsichtlich derjenigen Vorgänge, für die die Anzeige vorsätzlich oder grob fahrlässig verspätet erfolgt ist. Für andere Vorgänge kann der Anspruch bestehen bleiben.
Das Urteil verdeutlicht damit, dass die Pflicht zur unverzüglichen Anzeige nicht nur ein formales Erfordernis ist, sondern in der Praxis entscheidend über das Bestehen oder den Verlust des Erstattungsanspruchs entscheidet. Die 13-Monatsfrist markiert lediglich die äußerste zeitliche Grenze, ersetzt aber nicht die Obliegenheit zur sofortigen Reaktion nach Kenntniserlangung. Nutzer sind daher gehalten, besonders sorgfältig mit ihren Zahlungskarten und -konten umzugehen und auffällige Vorgänge sofort zu melden.
Handlungsempfehlungen für Zahlungsdienstnutzer
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Sofortige Prüfung bei Unregelmäßigkeiten
Sobald eine ungewöhnliche Belastung auffällt, sollte geprüft werden, ob sie autorisiert ist. Verzögerungen aus Unsicherheit oder Informationsmangel sind riskant. -
Direkte und dokumentierte Anzeige an den Zahlungsdienstleister
Unautorisierte Vorgänge sollten schnellstmöglich über offizielle Kommunikationskanäle gemeldet und Nachweise über die Meldung gesichert werden. -
Frist von 13 Monaten im Auge behalten – aber nicht allein darauf vertrauen
Auch wenn die Meldung innerhalb dieser Frist erfolgt, kann der Anspruch verloren gehen, wenn nicht unverzüglich nach Kenntnis gehandelt wurde. -
Pflichten nach Art. 56 der PSD / nationaler Umsetzung kennen
Dazu zählen insbesondere die Pflicht zur unverzüglichen Anzeige und die Sicherung der personalisierten Sicherheitsmerkmale. -
Sorgfalt in der Aufbewahrung und Sicherung des Instruments
Grobe Fahrlässigkeit, etwa das sorglose Aufbewahren von Karte und PIN, kann den Anspruch ausschließen. -
Rechtsbeistand im Streitfall suchen
Ob eine verspätete Anzeige als grob fahrlässig einzustufen ist, ist eine Frage des Einzelfalls. Anwaltliche Beratung kann hier entscheidend sein.