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Online-Glücksspiel: spannende erste mündliche Verhandlung vor dem EuGH - erster Bericht und Analyse

von Patrick Redell

EUGH prüft deutsches Verbot von Online-Glücksspielen - spannende erste Verhandlung
Verhandlung zur Rechtssache C-440/23 zeigt Spannungsfeld zwischen nationalem Glücksspielrecht und europäischer Dienstleistungsfreiheit

Hintergrund des Verfahrens

Am 9. April 2025 fand vor der Fünften Kammer des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) im Grande Salle Palais in Luxemburg die erste mündliche Verhandlung im Themenkomplex "Rückforderung von Spielverlusten beim illegalen Online-Glücksspiel" in der Rechtssache C-440/23 statt. Dabei ging es u. a. um die zentrale Frage, ob das in Deutschland seinerzeit geltende (Total-)Verbot von Online-Glücksspielen mit dem Recht der Europäischen Union vereinbar war.

Grundlage für das EuGH-Verfahren ist eine Vorlage eines maltesischen Gerichts, das den EuGH u. a. um Klärung dieser (deutschen) Rechtsfrage bat.

Wir waren selbst vor Ort, haben die 3,5 stündige Verhandlung live miterlebt und können daher aus erster Hand berichten.

Wer sind die Beteiligten?

Kläger ist ein deutscher Anwalt, der eine Forderung eines Spielers auf Rückzahlung seiner Verluste abgekauft hatte und anschließend im eigenen Namen gegen den Online-Glücksspiel-Anbieter auf Malta (!) geklagt hat. Beklagte in diesem Fall ist das maltesische Online-Casino "Lottoland", welches sog. "Zweitlotterien" anbietet. Neben den Parteien nahmen auch Vertreter Belgiens, Maltas, Deutschlands sowie der Europäischen Kommission teil und Stellung.

Argumente der Parteien

Der Kläger betonte, dass es ihm vordergründig um Verbraucherschutz gehe. Sein Ziel sei es, Spielern zu ihrem Recht zu verhelfen, besonders jenen, die sich aus finanziellen Gründen keine Klage leisten könnten. Hierzu sei eine europarechtliche Klärung der streitgegenständlichen Rechtsfragen notwendig. Die Gegenseite argumentierte u. a., dass das pauschale Verbot von Online-Glücksspielen in Deutschland unionsrechtswidrig sei, da es Ausnahmen für staatliche Angebote gebe, was dem Grundsatz der Gleichbehandlung widerspreche. "Spielschulden seien Ehrenschulden" und Spieler würden sich rechtsmissbräuchlich verhalten, wenn sie verlorene Einsätze nachträglich zurückfordern würden.

Belgien zeigte sich solidarisch mit den deutschen Regelungen. Malta hingegen pochte auf die Anerkennung seiner liberaleren Glücksspielregelungen innerhalb der EU. Die deutsche Bundesrepublik verteidigte ihr System u. a. mit dem Hinweis auf unterschiedliche Risiken bei verschiedenen Glücksspielarten. Es wurde eine Vielzahl von Argumenten mündlich ausgetauscht, welche die Parteien vorab bereits schriftsätzlich vorgetragen hatten. Da die Parteien "deutsch" (Kläger, Beklagtenvertreter und Vertreter aus Deutschland), "englisch" (u. a. Vertreter aus Malta, der europäischen Kommission und einige Richter) und "französisch" (u. a. Vertreter von Belgien und der Beisitzer) sprachen, glühten die Mikrofone der Simultandolmetscher beim EuGH, welche nach Ansicht des Autors tolle Arbeit leisteten.

Position der Europäischen Kommission

Spannend wurde es zunächst, als die Vertreterin der Europäischen Kommission das Wort ergriff: Sie wies (leicht kopfschüttelnd) zunächst daraufhin, dass dies ein besonderer Fall sei, weil ein ausländisches Gericht über nationale gesetzliche Regelungen eines anderen Landes zu entscheiden habe. Des Weiteren erklärte sie, dass man die aktuelle Entwicklung in Malta (insb. "Bill 55") kritisch verfolge und seine ernsthaften Zweifel hätte, ob dieses Gesetz mit dem Europarecht vereinbar sei. Dies müsse man inzident prüfen, wenn das maltesische Gericht es auf den hiesigen Fall anwenden wollen würde (was der Vertreter Maltas daraufhin nach eigener Auffassung ablehnte). Ferner wies die Vertreterin nochmals daraufhin, dass es nach der bisherigen ständigen Rechtsprechung des EuGH keine harmonisierenden europäischen Regelungen in Bezug auf Online-Glücksspiel geben würde, sodass es Sache des jeweiligen Mitgliedstaates sei, das eigene diesbezügliche Schutzniveau festzulegen, wobei diese Festlegung nicht willkürlich erfolgen dürfe und die Regelungen nachvollziehbar und kohärent sein müssten. Sie bat den EuGH ausdrücklich darum, den vorliegenden Fall intensiv zu prüfen und die vorgenannten Aspekte dabei zu berücksichtigen.

Kritische Nachfragen der Richter

Im weiteren Verlauf richteten die Richter des EuGHs kritische Fragen an die Beteiligten. Besonders der Berichterstatter ("Rapporteur") zeigte sich skeptisch gegenüber dem "Geschäftsmodell" des Klägers und stellte diesem - nach eigener Aussage lediglich aus "eigenem Interesse" - etliche Rückfragen. Der Kläger betonte, sein "Geschäftsmodell" diene dem Verbraucherschutz, er selber habe in diesem Kontext aber "weniger als zehn Mandanten".

Für Verwunderung sorgte, dass der Kläger - auf weitere Nachfrage des Beisitzers - offenbarte nicht sicher zu sein, ob im Ausgangsverfahren die ursprüngliche Klage des Spielers zurückgenommen worden sei – obwohl seine vermeintliche Ankaufvereinbarung mit dem Spieler genau dies vorgesehen hätte.

Dem Autor war der Kläger bis dahin nicht bekannt. Im Rahmen einer eigenen Kontaktaufnahme mit dem Kläger verhielt sich der Kläger dem Autor gegenüber jedenfalls relativ auffällig und befremdlich.

Relevanz für Deutschland bleibt unklar

Ein zentrales Thema der Diskussion war, ob das Verfahren über den Einzelfall in Malta hinaus Auswirkungen auf tausende ähnliche Fälle in Deutschland haben könnte. Aus den Fragen – auch vom Generalanwalt – wurde deutlich, dass es möglicherweise bei einer Entscheidung bleiben könnte, die auf die konkreten Umstände des Einzelfalls begrenzt ist. Ob das wirklich so kommt, bleibt abzuwarten. Die EuGH-Richter baten auch alle Beteiligten mehrfach um Mitteilung, wie und auf welcher Basis das maltesische Gericht (ohne Kenntnis des deutschen Rechts) über deutsches Recht entscheiden sollte. Auf Nachfrage teilte die deutsche Bundesrepublik im Rahmen dessen mit, vom maltesischen Gericht diesbezüglich bisher nicht kontaktiert worden zu sein und bemängelte die bisherige "schlechte Recherche" des maltesischen Gerichts.

Wie geht es weiter?

Der Generalanwalt kündigte an, seine Schlussanträge am 10. Juli 2025 zu veröffentlichen. Häufig schließen sich die Richter des EuGH im Anschluss diesen Schlussanträgen an.

Persönlicher Eindruck des Autors

Besonders in Erinnerung geblieben sind dem Autor die diversen Fragen der Richter und des Generalanwalts an die jeweiligen Parteien. Hieraus könnte sich "zwischen den Zeilen" ableiten lassen, dass der EuGH das Verfahren C-440/23 - womöglich auch aufgrund der besonderen Umstände dessen Entstehens - nicht für das "richtige" Verfahren hält, um die wichtigen europarechtlichen Fragen im hiesigen Themenkomplex zu beantworten. Es bleibt daher abzuwarten, ob es in dieser Sache überhaupt zu einer Entscheidung kommt oder ob der EuGH nicht ein anderes Verfahren hierfür für "geeigneter" hält. Hier könnte sich insbesondere das vom BGH initiierte Vorlageverfahren nach diesseitiger Ansicht besser eignen.

Zusammensetzung des Gerichts

Die Fünfte Kammer des Europäischen Gerichtshofs war wie folgt besetzt:

  • M. Arastey Sahún (Spanien) (zugleich Präsidentin der Fünften Kammer)

  • D. Gratsias (Griechenland)

  • E. Regan (Irland)

  • J. Passer (Tschechische Republik)

  • B. Smulders (Niederlande)

  • N. Emiliou (Zypern) (Generalanwalt)