Article

EuGH-Generalanwalt: (widerlegbare) Vermutung, dass Internettotalverbot mit Europarecht vereinbar

von Patrick Redell

Am 4. September 2025 hat Nicholas Emiliou, Generalanwalt beim Europäischen Gerichtshof (EuGH), seine Schlussanträge in der Rechtssache C-440/23 vorgelegt. Seitdem wird in der Fachwelt lebhaft über die Folgen für das Glücksspielrecht in Deutschland diskutiert. Wir haben die Schlussanträge im Detail ausgewertet und zeigen, welche Bedeutung sie für die Rückforderung von Verlusten beim Online-Glücksspiel haben.

Im Ergebnis sind die Ausführungen des Generalanwalts eindeutig: Deutsche Gerichte sind zuständig, deutsches Recht ist anzuwenden und Spieler können ihre Einsätze zurückfordern – ohne dass dies als rechtsmissbräuchlich gilt.


Deutsche Gerichte zuständig – deutsches Recht maßgeblich

Zunächst steht fest: Für Streitigkeiten um Verluste aus illegalem Online-Glücksspiel sind deutsche Gerichte international zuständig. Außerdem gilt ausschließlich deutsches Recht. Das schafft Rechtssicherheit für Betroffene, die ihre Spieleinsätze zurückfordern wollen.


Eingriff in die Dienstleistungsfreiheit zulässig

Der Generalanwalt stellt klar: Das Glücksspielrecht ist unionsrechtlich nicht harmonisiert. Ein Verstoß gegen die Dienstleistungsfreiheit (Art. 56 AEUV) kann daher gerechtfertigt sein, wenn

  • zwingende Gründe des Allgemeininteresses wie Spielerschutz, Betrugsprävention und Suchtbekämpfung vorliegen, und

  • die Regelungen verhältnismäßig sind.

Nach diesseitiger Ansicht ist beides beim deutschen Glücksspielstaatsvertrag (GlüStV) erfüllt.


Breiter Spielraum der Mitgliedstaaten im Glücksspielrecht

Der EuGH betont seit Jahren, dass die Regulierung von Glücksspiel stark von kulturellen und gesellschaftlichen Unterschieden geprägt ist. Deshalb haben Mitgliedstaaten einen weiten Gestaltungsspielraum, eigene Glücksspielverbote zu erlassen. Entscheidend ist, dass die Maßnahmen verhältnismäßig sind (vgl. EuGH, Urteil v. 08.09.2009 – C-42/07, Liga Portuguesa de Futebol Profissional und Bwin International; EuGH, Urteil v. 02.03.2023 – C-695/21, Recreatieprojecten Zeeland u. a.).


Ausländische Gerichte: Zurückhaltung bei der Prüfung deutschen Rechts

Gerichte in anderen EU-Staaten – etwa Malta, Sitz vieler Online-Casinos – dürfen deutsches Recht nur dann unangewendet lassen, wenn eine offensichtliche Unvereinbarkeit mit Unionsrecht vorliegt. Eine solche ist im Bereich des Glücksspielrechts nach diesseitiger Rechtsauffassung nicht gegeben.


Vermutung der Europarechtskonformität nach der Rom I-Verordnung

Die Rom I-Verordnung enthält eine widerlegbare Vermutung, dass das Recht eines Mitgliedstaats unionsrechtskonform ist. Für die Praxis bedeutet das: Das deutsche Glücksspielverbot – einschließlich des Internetverbots – gilt solange, bis eindeutige Gegenbeweise vorliegen. Der EuGH (Urteil v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10, N. S. u. a.; Urteil v. 29.07.2024 – C-318/24 PPU, Breian) hat dies mehrfach bestätigt.


Rückforderung von Online-Glücksspielverlusten nicht missbräuchlich

Besonders wichtig für Spieler: Der Generalanwalt hält die Rückforderung von Online-Glücksspielverlusten nicht für einen Missbrauch des Unionsrechts. Ob und in welchem Umfang Einsätze zurückzuzahlen sind, bestimmt sich ausschließlich nach deutschem Recht – insbesondere nach §§ 242, 817 S. 2 BGB. Damit stärkt er die Rechtsposition der Verbraucher erheblich.


Bedeutung für laufende Verfahren

Das endgültige EuGH-Urteil wird in den kommenden Monaten erwartet. Nach unserer Einschätzung wird der Gerichtshof jedoch die Argumentation deutscher Gerichte und die Vermutung der Europarechtskonformität aufgreifen. Verfahren zur Rückforderung von Spieleinsätzen müssen daher nicht länger ausgesetzt werden.