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BGH: Zinsanpassungsklauseln von Banken in Prämiensparverträgen unwirksam - hohe Nachzahlungen drohen

von Patrick Redell

Urteil vom 6. Oktober 2021 - XI ZR 234/20

Der  u.a. für das Bank- und Kapitalmarktrecht zuständige XI. Zivilsenat des  Bundesgerichtshofs hat mit Urteil vom 6. Oktober 2021 über die  Revisionen des Musterklägers, eines Verbraucherschutzverbands, und der  Musterbeklagten, einer Sparkasse, gegen das Musterfeststellungsurteil  des Oberlandesgerichts Dresden vom 22. April 2020 über die Wirksamkeit  von Zinsänderungsklauseln in Prämiensparverträgen entschieden.

Sachverhalt und bisheriger Prozessverlauf:

Die  beklagte Sparkasse schloss seit dem Jahr 1994 mit Verbrauchern  sogenannte Prämiensparverträge ab, die eine variable Verzinsung der  Spareinlage und ab dem dritten Sparjahr eine der Höhe nach - bis zu 50%  der jährlichen Spareinlage ab dem 15. Sparjahr - gestaffelte  verzinsliche Prämie vorsehen. In den Vertragsformularen heißt es u.a.:

"Die Spareinlage wird variabel, z.Zt. mit .. % p.a. verzinst."

In den in die Sparverträge einbezogenen "Bedingungen für den Sparverkehr" heißt es weiter:

"Soweit  nichts anderes vereinbart ist, vergütet die Sparkasse dem Kunden den  von ihr jeweils durch Aushang im Kassenraum bekannt gegebenen Zinssatz.  Für bestehende Spareinlagen tritt eine Änderung des Zinssatzes,  unabhängig von einer Kündigungsfrist, mit der Änderung des Aushangs in  Kraft, sofern nichts anderes vereinbart ist."

Der  Musterkläger hält die Regelungen zur Änderung des variablen Zinssatzes  für unwirksam und die während der Laufzeit der Sparverträge von der  Musterbeklagten vorgenommene Verzinsung der Spareinlagen für zu niedrig.  Er verfolgt mit seiner Musterfeststellungsklage sieben  Feststellungsziele. Mit diesen macht er die Unwirksamkeit der  Zinsänderungsklausel, die Bestimmung eines Referenzzinssatzes und eines  monatlichen Zinsanpassungsintervalls sowie die Verpflichtung der  Beklagten geltend, die Zinsanpassungen nach der Verhältnismethode  vorzunehmen. Darüber hinaus möchte er festgestellt wissen, dass die  Ansprüche der Verbraucher auf Zahlung von weiteren Zinsbeträgen  frühestens ab der wirksamen Beendigung der Sparverträge fällig werden,  dass mit der Kenntnis der Höhe der tatsächlich vorgenommenen  Zinsgutschriften im Sparbuch keine den Verjährungslauf in Gang setzende  Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der den Anspruch auf Zahlung  von weiteren Zinsbeträgen begründenden Umstände verbunden ist und dass  die widerspruchslose Hinnahme der Zinsgutschriften im Sparbuch nicht  dazu führt, dass das Umstandsmoment für eine Verwirkung der Ansprüche  der Verbraucher auf Zahlung von weiteren Zinsbeträgen gegeben ist.

Das  Oberlandesgericht hat der Musterfeststellungsklage teilweise  stattgegeben. Der Musterkläger verfolgt seine Feststellungsziele mit der  Revision weiter, soweit das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen hat.  Die Musterbeklagte verfolgt mit der Revision ihren Antrag auf Abweisung  der Klage weiter.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der  XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat entschieden, dass die  angegriffene Klausel wegen eines Verstoßes gegen § 308 Nr. 4 BGB in  Bezug auf die Ausgestaltung der Variabilität der Verzinsung der  Spareinlagen unwirksam ist und dass die in den Prämiensparverträgen  insoweit entstandene Regelungslücke durch eine ergänzende  Vertragsauslegung nach §§ 133, 157 BGB zu schließen ist. Auf die  Revision des Musterklägers hat er das Musterfeststellungsurteil des  Oberlandesgerichts aufgehoben, soweit dieses keinen für die Höhe der  variablen Verzinsung maßgebenden Referenzzinssatz bestimmt hat. Insoweit  hat er die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das  Oberlandesgericht zurückverwiesen. Darüber hinaus hat er entschieden,  dass die Zinsanpassungen von der Musterbeklagten monatlich und unter  Beibehaltung des anfänglichen relativen Abstands des Vertragszinssatzes  zum Referenzzinssatz (Verhältnismethode) vorzunehmen sind. Er hat zudem  entschieden, dass Ansprüche der Verbraucher auf Zahlung von weiteren  Zinsbeträgen frühestens mit Beendigung der Sparverträge fällig werden.  Die vom Musterkläger verfolgten Feststellungsziele zu Teilaspekten der  Verjährung und Verwirkung hat er jeweils als unzulässig zurückgewiesen.  

Zur Begründung hat der Senat im Wesentlichen ausgeführt:

Die  angegriffene Klausel enthält bei der gebotenen objektiven Auslegung im  Zusammenhang mit Ziffer 3.1 der Bedingungen für den Sparverkehr ein  Zinsänderungsrecht der Musterbeklagten, wonach diese den  Vertragszinssatz durch die Änderung eines Aushangs in ihrem Kassenraum  ändern kann. Das Oberlandesgericht hat zutreffend angenommen, dass die  Klausel wegen eines Verstoßes gegen § 308 Nr. 4 BGB in Bezug auf die  Ausgestaltung der Variabilität unwirksam ist, da sie nicht das  erforderliche Mindestmaß an Kalkulierbarkeit möglicher Zinsänderungen  aufweist. Rechtsfehlerhaft ist das Oberlandesgericht allerdings davon  ausgegangen, es könne einen Referenzzinssatz deswegen nicht im Wege der  ergänzenden Vertragsauslegung bestimmen, weil im Verfahren über die  Musterfeststellungsklage nicht auszuschließen sei, dass einzelne  Sparverträge individuelle Vereinbarungen enthielten. Solche  Individualvereinbarungen sind nur in den Klageverfahren zwischen den  Verbrauchern und der Musterbeklagten zu berücksichtigen und schließen  die Bindungswirkung des Musterfeststellungsurteils nach § 613 Abs. 1  ZPO, nicht aber die Vornahme einer ergänzenden Vertragsauslegung im  Musterfeststellungsverfahren aus.

Nach  dem Konzept der auf ein langfristiges Sparen angelegten Sparverträge  ist es interessengerecht, einen Zinssatz für langfristige Spareinlagen  als Referenz für die Verzinsung der Spareinlagen heranzuziehen. Da das  Oberlandesgericht - von seinem rechtlichen Standpunkt aus folgerichtig -  bislang keine Feststellungen zu einem geeigneten Referenzzinssatz  getroffen hat, wird es dies nach Zurückverweisung des Musterverfahrens  nachzuholen haben. Die Zinsanpassungen sind nach der gebotenen  ergänzenden Vertragsauslegung in einem monatlichen Rhythmus vorzunehmen,  weil der für langfristige Spareinlagen in Betracht kommende  Referenzzinssatz in der von der Deutschen Bundesbank erhobenen  Zinsstatistik monatlich veröffentlicht wird.

Im  Wege der ergänzenden Vertragsauslegung ist weiter davon auszugehen,  dass bei den Zinsanpassungen der anfängliche relative Abstand des  Vertragszinssatzes zum Referenzzinssatz beizubehalten ist. Nur eine  solche Auslegung gewährleistet, dass das Grundgefüge der  Vertragskonditionen über die gesamte Laufzeit der Sparverträge erhalten  bleibt, so dass günstige Zinskonditionen günstig und ungünstige  Zinskonditionen ungünstig bleiben.

Rechtsfehlerfrei  hat das Oberlandesgericht festgestellt, dass die Ansprüche der  Verbraucher auf weitere Zinsbeträge aus den Sparverträgen frühestens ab  dem Zeitpunkt der Vertragsbeendigung fällig werden. Die in einem  Sparguthaben enthaltenen Zinsen unterliegen derselben Verjährung wie das  angesparte Kapital. Das gilt auch für den Verbrauchern bislang nicht  gutgeschriebene Zinsbeträge. Die Möglichkeit der Verbraucher, vor  Vertragsbeendigung eine Gutschrift von weiteren Zinsbeträgen  einzuklagen, bewirkt keine Vorverlagerung der Fälligkeit des Anspruchs  auf Auszahlung der weiteren Zinsbeträge. Der rechtlich nicht  vorgebildete Verbraucher, auf den bei der Auslegung der in den  Sparverträgen getroffenen Abreden abzustellen ist, erwartet aufgrund der  vertraglichen Absprache über die Zinskapitalisierung, dass die Bank die  vertraglich geschuldeten Zinsen auch dann am Ende eines Geschäftsjahres  dem Kapital zuschlägt, wenn er sein Sparbuch nicht zum Nachtrag  vorlegt. Dieser berechtigten Erwartung widerspräche es, wenn der  Anspruch auf Auszahlung der weiteren Zinsbeträge bei Vertragsbeendigung  deswegen bereits verjährt wäre, weil der Anspruch auf Erteilung einer  korrekten Zinsgutschrift nicht in einer die Verjährung hemmenden Art und  Weise vom Verbraucher während der Laufzeit des Sparvertrags geltend  gemacht worden ist.

Die  vom Musterkläger verfolgten Feststellungsziele zu Teilaspekten der  Verjährung und Verwirkung sind im Musterfeststellungsverfahren  unzulässig, weil sie nicht verallgemeinerungsfähig sind. Die Frage, ob  ein bestimmter Umstand geeignet ist, einem Verbraucher Kenntnis oder auf  grober Fahrlässigkeit beruhende Unkenntnis von seinem Anspruch auf  weitere Zinsbeträge zu verschaffen, lässt sich nur individuell abhängig  von der Person des Verbrauchers beantworten. Die Verwirkung eines  Anspruchs wegen der illoyal verspäteten Geltendmachung von Rechten setzt  neben einem Zeitmoment ein Umstandsmoment voraus. Zeit- und  Umstandsmoment können dabei nicht voneinander unabhängig betrachtet  werden, sondern stehen in einer Wechselwirkung. Die Frage, ob ein  Umstandsmoment vorliegt, das zusammengenommen mit dem Zeitmoment eine  Verwirkung des Anspruchs des Verbrauchers rechtfertigt, kann daher nur  individuell und nicht in einem Musterverfahren beantwortet werden.

Quelle: Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs, Nr. 182/2021