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BGH: Facebook darf Konten wegen vermeintlicher "Hassrede" nicht ohne vorherige Ankündigung sperren

von Patrick Redell

Urteile vom 29. Juli 2021 - III ZR 179/20 und III ZR 192/20

Der  III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 29.07.2021 entschieden, dass die  Geschäftsbedingungen von Facebook vom 19. April 2018 zur Löschung von  Nutzerbeiträgen und Kontensperrung bei Verstößen gegen die in den  Bedingungen festgelegten Kommunikationsstandards unwirksam sind. Dies  gilt jedenfalls, weil sich die beklagte Anbieterin nicht gleichzeitig  dazu verpflichtet, den Nutzer über die Entfernung seines Beitrags zumindest nachträglich und über eine beabsichtigte Sperrung seines  Nutzerkontos vorab zu informieren, ihm den Grund dafür mitzuteilen und  eine Möglichkeit zur Gegenäußerung mit anschließender Neubescheidung  einzuräumen. Wurde aufgrund der unwirksamen Geschäftsbedingungen der  Beitrag eines Nutzers gelöscht und dessen Konto vorübergehend mit einer  Teilsperrung belegt, hat der Nutzer einen Anspruch auf Freischaltung des  gelöschten Beitrags und gegebenenfalls auch auf Unterlassung einer  erneuten Kontosperrung und Löschung des Beitrags bei dessen erneuter  Einstellung.

Der Sachverhalt

Die  Parteien streiten über die Rechtmäßigkeit einer vorübergehenden  Teilsperrung der Facebook-Benutzerkonten der Kläger und der Löschung  ihrer Kommentare durch die Beklagte.  

Die  Kläger unterhalten jeweils ein Nutzerkonto für ein von der  Muttergesellschaft der Beklagten betriebenes weltweites soziales  Netzwerk, dessen Anbieterin und Vertragspartnerin für Nutzer mit Sitz in  Deutschland die Beklagte ist. Sie nehmen die Beklagte auf Freischaltung der von ihnen  in dem Netzwerk veröffentlichten und von der Beklagten gelöschten  Beiträge, auf Unterlassung einer erneuten Sperre ihrer Nutzerkonten und  Löschung ihrer Beiträge sowie auf  Auskunft über ein mit der Durchführung der Kontosperre beauftragtes  Unternehmen in Anspruch.

Nach  den Nutzungsbedingungen des Netzwerks in der seit dem 19. April 2018  geltenden Fassung darf nicht gegen die "Gemeinschaftsstandards"  verstoßen werden. Diese verbieten eine - dort näher definierte -  "Hassrede".  

In dem Verfahren III ZR 179/20 stellte die Klägerin folgenden Beitrag ein:

"Schon  der Wahnsinn, kann mich nicht an ein Attentat erinnern, das sog.  Reichsbürger verübt haben. Im Gegensatz dazu dann die Morde von  islamischen Einwanderern, die man zwar beobachtet hat, aber nichts dazu  machen konnte. Deutsche Menschen werden kriminalisiert, weil sie eben eine andere Ansicht von ihrem Heimatland haben als das Regime. Migranten  können hier morden und vergewaltigen und keinen interessiert's! Da  würde ich mir mal ein Durchgreifen des Verfassungsschutzes wünschen."

In  dem Verfahren III ZR 192/20 kommentierte der Kläger den Beitrag eines  Dritten, der ein Video beinhaltet, in dem eine Person mit  Migrationshintergrund es ablehnt, von einer Polizistin kontrolliert zu  werden, wie folgt:  

"Was  suchen diese Leute hier in unserem Rechtsstaat … kein Respekt … keine  Achtung unserer Gesetze … keine Achtung gegenüber Frauen … DIE WERDEN  SICH HIER NIE INTEGRIEREN UND WERDEN AUF EWIG DEM STEUERZAHLER AUF DER  TASCHE LIEGEN … DIESE GOLDSTÜCKE KÖNNEN NUR EINES MORDEN … KLAUEN …  RANDALIEREN … UND GANZ WICHTIG … NIE ARBEITEN."

Die  Beklagte löschte diese Äußerungen im August 2018, da sie gegen das  Verbot der "Hassrede" verstießen. Sie sperrte vorübergehend die  Nutzerkonten, so dass die Kläger in dieser Zeit nichts posten, nichts  kommentieren und auch die Messenger-Funktion nicht nutzen konnten. Mit  ihren Klagen machen die Kläger geltend, die Beklagte sei nicht  berechtigt gewesen, ihre Beiträge zu löschen und ihre Nutzerkonten zu  sperren.

Der Prozessverlauf

Im  Verfahren III ZR 179/20 hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Das  Berufungsgericht hat die hiergegen gerichtete Berufung der Klägerin  zurückgewiesen.  Im  Verfahren III ZR 192/20 hat das Landgericht die Beklagte dazu  verurteilt, es zu unterlassen, den Kläger für das Einstellen des Textes: "Was  suchen diese Leute in unserem Rechtsstaat - kein Respekt - keine  Achtung unserer Gesetze - keine Achtung gegenüber Frauen. Die werden  sich hier nie integrieren und werden auf ewig dem Steuerzahler auf der  Tasche liegen."  erneut  zu sperren oder den Beitrag zu löschen, wenn sich der Beitrag auf  Personen bezieht, die sich der Anweisung einer Polizistin mit dem  Argument widersetzen, dass sie sich von einer Frau nichts sagen ließen.  Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers hat  keinen Erfolg gehabt. Auf die Berufung der Beklagten hat das  Oberlandesgericht das Urteil des Landgerichts abgeändert und die Klage  in vollem Umfang abgewiesen.  

Mit  den vom Oberlandesgericht - beschränkt - zugelassenen Revisionen  verfolgen die Kläger ihr Begehren auf Freischaltung der gelöschten  Beiträge, auf Unterlassung einer erneuten Kontosperre und Löschung der  Beiträge sowie - im Verfahren III ZR 192/20 - auf Auskunft über ein mit  der Durchführung der Kontosperre beauftragtes Unternehmen weiter.

Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs

Der  III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat die Berufungsurteile  teilweise aufgehoben und - im Verfahren III ZR 192/20 unter  Zurückweisung der Revision im Übrigen - die Beklagte verurteilt, die von  ihr gelöschten Beiträge der Kläger wieder freizuschalten. Darüber  hinaus hat er im Verfahren III ZR 179/20 die Beklagte verurteilt, es zu  unterlassen, die Klägerin für das Einstellen ihres Beitrags erneut zu  sperren oder den Beitrag zu löschen.

Die  Beklagte war nicht aufgrund ihrer Nutzungsbestimmungen und  Gemeinschaftsstandards zur Löschung der Beiträge der Kläger und Sperrung  ihrer Nutzerkonten berechtigt. Zwar wurden die geänderten  Nutzungsbedingungen der Beklagten in der Fassung vom 19. April 2018  wirksam in das Vertragsverhältnis der Parteien dadurch einbezogen, dass  die Kläger auf die ihnen in Form eines Pop-up-Fensters zugegangene  Mitteilung der Beklagten über die beabsichtigte Änderung die  entsprechende, mit "Ich stimme zu" bezeichnete Schaltfläche anklickten.  Die in den geänderten Nutzungsbedingungen der Beklagten eingeräumten  Vorbehalte betreffend die Entfernung von Nutzerbeiträgen und die  Sperrung von Nutzerkonten sind jedoch gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB  unwirksam, weil dadurch die Nutzer des Netzwerks entgegen den Geboten  von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt werden.  

Bei  der Prüfung, ob eine Klausel unangemessen im Sinne von § 307 Abs. 1  Satz 1 BGB ist, bedarf es einer umfassenden Würdigung und Abwägung der  wechselseitigen Interessen. Dabei sind vorliegend die kollidierenden  Grundrechte der Parteien - auf Seiten der Nutzer die  Meinungsäußerungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, auf Seiten der  Beklagten vor allem die Berufsausübungsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 Satz 1  GG - zu erfassen und nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz so in Ausgleich zu bringen, dass sie für alle Beteiligten möglichst  weitgehend wirksam werden. Diese Abwägung ergibt, dass die Beklagte  grundsätzlich berechtigt ist, den Nutzern ihres Netzwerks die Einhaltung  bestimmter Kommunikationsstandards vorzugeben, die über die  strafrechtlichen Vorgaben (z.B. Beleidigung, Verleumdung oder  Volksverhetzung) hinausgehen. Sie darf sich das Recht vorbehalten, bei Verstoß gegen die Kommunikationsstandards Beiträge zu entfernen und das  betreffende Nutzerkonto zu sperren. Für einen interessengerechten  Ausgleich der kollidierenden Grundrechte und damit die Wahrung der  Angemessenheit im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB ist jedoch  erforderlich, dass sich die Beklagte in ihren Geschäftsbedingungen  verpflichtet, den betreffenden Nutzer über die Entfernung eines Beitrags  zumindest nachträglich und über eine beabsichtigte Sperrung seines  Nutzerkontos vorab zu informieren, ihm den Grund dafür mitzuteilen und  eine Möglichkeit zur Gegenäußerung einzuräumen, an die sich eine  Neubescheidung anschließt.  

Diesen  Anforderungen werden die Entfernungs- und Sperrungsvorbehalte in den  Geschäftsbedingungen der Beklagten nicht gerecht. Die Beklagte war daher  nicht berechtigt, die Beiträge der Kläger zu löschen und ihre  Nutzerkonten zu sperren. Sie muss die Beiträge wiederherstellen und hat  eine Sperrung der Nutzerkonten und Löschung der Beiträge bei deren  erneuter Einstellung zu unterlassen. Der entsprechende  Unterlassungsantrag des Klägers scheiterte im Verfahren III ZR 192/20  indes an den Besonderheiten des dortigen Prozessverlaufs.

Quelle: Pressemitteilungen des Bundesgerichtshofs, Nr. 149/2021