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Bundesgerichtshof entscheidet erneut über Prämiensparverträge von Banken

von Patrick Redell

Urteil vom 24. Januar 2023 - XI ZR 257/21

Der u.a. für das Bank- und Kapitalmarktrecht zuständige XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat mit Urteil vom 24. Januar 2023 erneut über Revisionen des Musterklägers, eines  Verbraucherschutzverbands, und der Musterbeklagten, einer Sparkasse, gegen ein Musterfeststellungsurteil des Oberlandesgerichts Dresden über die Wirksamkeit von Zinsänderungsklauseln in Prämiensparverträgen entschieden.

Sachverhalt und bisheriger Prozessverlauf:

Die beklagte Sparkasse schloss seit Anfang der 1990er-Jahre mit Verbrauchern sogenannte Prämiensparverträge ab, die eine variable ;Verzinsung der Spareinlage und ab dem dritten Sparjahr eine der Höhe ;nach - bis zu 50% der jährlichen Spareinlage ab dem 15. Sparjahr - gestaffelte verzinsliche Prämie vorsehen. In den Vertragsformularen heißt es u.a.:

"Die Spareinlage wird variabel, z.Zt. mit …% p.a. verzinst."

oder

"Die Sparkasse zahlt neben dem jeweils gültigen Zinssatz, z.Zt. ...%, am Ende eines Kalender-/Sparjahres […]."

In den in die Sparverträge einbezogenen "Bedingungen für den Sparverkehr" heißt es weiter:

"Soweit nichts anderes vereinbart ist, vergütet die Sparkasse dem  Kunden den von ihr jeweils durch Aushang im Kassenraum bekannt gegebenen  Zinssatz. Für bestehende Spareinlagen tritt eine Änderung des  Zinssatzes, unabhängig von einer Kündigungsfrist, mit der Änderung des  Aushangs in Kraft, sofern nichts anderes vereinbart ist."

Der Musterkläger hält die Regelungen zur Änderung des variablen Zinssatzes für unwirksam und die während der Laufzeit der Sparverträge von der Musterbeklagten vorgenommene Verzinsung der Spareinlagen für zu niedrig. Er verfolgt mit seiner Musterfeststellungsklage sieben Feststellungsziele. Mit diesen macht er die Unwirksamkeit der Zinsänderungsklausel, die Bestimmung eines Referenzzinssatzes und eines monatlichen Zinsanpassungsintervalls sowie die Verpflichtung der Beklagten geltend, die Zinsanpassungen nach der Verhältnismethode vorzunehmen. Darüber hinaus möchte er festgestellt wissen, dass die Ansprüche der Verbraucher auf Zahlung von weiteren Zinsbeträgen frühestens ab der wirksamen Beendigung der Sparverträge fällig werden, dass mit der Kenntnis der Höhe der tatsächlich vorgenommenen Zinsgutschriften im Sparbuch keine den Verjährungslauf in Gang setzende Kenntnis oder grob fahrlässige Unkenntnis der den Anspruch auf Zahlung von weiteren Zinsbeträgen begründenden Umstände verbunden ist und dass die widerspruchslose Hinnahme der Zinsgutschriften im Sparbuch nicht dazu führt, dass das Umstandsmoment für eine Verwirkung der Ansprüche der Verbraucher auf Zahlung von weiteren Zinsbeträgen gegeben ist.


Das Oberlandesgericht hat der Musterfeststellungsklage teilweise stattgegeben. Der Musterkläger verfolgt seine Feststellungsziele mit der Revision weiter, soweit das Oberlandesgericht die Klage betreffend die Bestimmung eines Referenzzinssatzes und die Vornahme der Zinsanpassungen nach der Verhältnismethode abgewiesen hat. Die Musterbeklagte verfolgt mit der Revision ihren Antrag auf vollständige Abweisung der Klage betreffend die Bestimmung eines Referenzzinssatzes weiter.

Entscheidung des Bundesgerichtshofs:

Der Bundesgerichtshof hat seine mit Urteil vom 6. Oktober 2021 (XI ZR 234/20; vgl. Pressemitteilung Nr. 182/21) ergangene Rechtsprechung in dem heute verkündeten Urteil bestätigt. Dementsprechend hat er auf die Revision des Musterklägers das Musterfeststellungsurteil des Oberlandesgerichts aufgehoben, soweit dieses keinen für die Höhe der variablen Verzinsung maßgebenden Referenzzinssatz bestimmt hat. Insoweit hat er die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Oberlandesgericht zurückverwiesen. Darüber hinaus hat er entschieden, dass die Zinsanpassungen von der Musterbeklagten unter Beibehaltung des anfänglichen relativen Abstands des Vertragszinssatzes zum Referenzzinssatz (Verhältnismethode) vorzunehmen sind.

Das Oberlandesgericht ist rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, es könne einen Referenzzinssatz deswegen nicht im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung bestimmen, weil im Verfahren über die  Musterfeststellungsklage nicht auszuschließen sei, dass einzelne  Sparverträge individuelle Vereinbarungen enthielten. Solche  Individualvereinbarungen sind nur in den Klageverfahren zwischen den  Verbrauchern und der Musterbeklagten zu berücksichtigen und schließen  die Bindungswirkung des Musterfeststellungsurteils nach § 613 Abs. 1  ZPO, nicht aber die Vornahme einer ergänzenden Vertragsauslegung im  Musterfeststellungsverfahren aus. Da das Oberlandesgericht - von seinem  rechtlichen Standpunkt aus folgerichtig - bislang keine Feststellungen  zu einem geeigneten Referenzzinssatz getroffen hat, wird es dies nach  Zurückverweisung des Musterverfahrens nachzuholen haben. Nach dem  Konzept der auf ein langfristiges Sparen angelegten Sparverträge ist es  interessengerecht, als Referenz für die Verzinsung der Spareinlagen  einen Zinssatz oder eine Umlaufrendite mit langer Fristigkeit  heranzuziehen. Bei der Bestimmung des Referenzzinssatzes wird das  Oberlandesgericht außerdem zu berücksichtigen haben, dass es sich bei  den Sparverträgen um eine risikolose Anlageform handelt.

Nach der vom Senat vorgenommenen ergänzenden Vertragsauslegung ist  bei den Zinsanpassungen der anfängliche relative Abstand des  Vertragszinssatzes zum Referenzzinssatz beizubehalten. Nur eine solche  Auslegung gewährleistet, dass das Grundgefüge der Vertragskonditionen  über die gesamte Laufzeit der Sparverträge erhalten bleibt, so dass  günstige Zinskonditionen günstig und ungünstige Zinskonditionen  ungünstig bleiben. Dass sich die absolute Zinsmarge der Musterbeklagten  bei Anwendung der Verhältnismethode im Fall eines Anstiegs des  Referenzzinssatzes erhöht und im Fall eines Absinkens des  Referenzzinssatzes reduziert, verstößt nicht gegen die Grundsätze des  Preisanpassungsrechts, weil die Musterbeklagte keinen Einfluss auf die  Höhe der Zinsanpassungen hat.

Das Oberlandesgericht wird erneut über die in einem  Eventualverhältnis stehenden Anträge des Musterklägers betreffend den  Referenzzinssatz zu entscheiden und dabei mit sachverständiger Hilfe im  Wege der ergänzenden Vertragsauslegung einen Referenzzinssatz zu  bestimmen haben. Dabei wird es zu bedenken haben, dass zur  Verfahrensbeschleunigung gemäß § 411a ZPO ein bereits erstelltes  Sachverstän-digengutachten dann verwertet werden kann, wenn es in einem  anderen Gerichtsverfahren eingeholt worden ist.

Quelle: Pressemitteilung des BGH, Nr. 014/2023