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LG Berlin: Negativzinsen für (Spar-) Einlagen auf Giro- und Tagesgeldkonten unzulässig

von Patrick Redell

Das Landgericht Berlin hat mit Urteil vom 02.09.2021 (16 O 43/21) - soweit ersichtlich als erstes Gericht bundesweit - entschieden, dass die Beanspruchung von Verwahrentgelten (sog. "Negativzinsen") bei Zahlungsdienstverträgen (z. B. Giro- oder Tagesgeldkonten) den Verbraucher unangemessen benachteiligt und daher unzulässig ist.

Geklagt hatte der Dachverband der Verbraucherzentralen und weiterer Verbraucher- und  sozialorientierter Organisationen in Deutschland. Zu seinen  satzungsgemäßen Zielen gehört die Wahrnehmung der Verbraucherinteressen  und die Förderung des Verbraucherschutzes. Er wendete sich gegen verschiedene Kostenpositionen, die die Beklagte,  eine Genossenschaftsbank, gemäß ihrem Verzeichnis "Änderung des Preis-  und Leistungsverzeichnisses, Entgeltinformationen, Änderung der  Sonderbedingungen und aktuelle Datenschutzhinweise zum 1. August 2020"  von ihren Kunden beansprucht. Er machte u. a. Unterlassungsansprüche geltend. Die Beklagte bietet u. a. Girokonten und Tagesgeldkonten für Privatkunden (Privatkonten) an. Für  ihre Produkte fallen  teilweise Kontoführungsgebühren an. Bei allen Kontomodellen sind Einlagen (Guthaben) bis 25.000,00 € kostenlos. Für  überschießende Beträge erhebt die Beklagte ausweislich ihres o.g.  Preisverzeichnisses jeweils Verwahrentgelte in Höhe von 0,50 % p.a. (bei Tagesgeldkonten ab 50.000,00 €).  Die Klausel gilt für alle Verträge, die nach dem 01.  August 2020 abgeschlossen wurden, für zuvor abgeschlossene Verträge nur bei individuell getroffenen Zusatzvereinbarungen.

Das Landgericht Berlin entschied daraufhin, dass die streitgegenständlichen von der Beklagten verwendeten Klauseln unwirksam seien. Die Klage sei begründet, denn die  Beanspruchung eines Verwahrentgeltes bei Zahlungsdiensteverträgen sei mit wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung nicht zu  vereinbaren und benachteilige dadurch den Verbraucher unangemessen.

Nach Ansicht des Gerichts würden bei einem Girokonto Zahlungsdienste (wie z. B. die Ausführung von  Zahlungsvorgängen einschließlich der Übermittlung von Geldbeträgen) die Hauptleistungspflichten von Banken darstellen.  Hierfür könnten Banken ohne weiteres ein Entgelt beanspruchen. Für Nebenpflichten, wie z. B. die Verwahrung von Guthaben, fehle jedoch eine entsprechende gesetzliche Regelung zur Berechnung gesonderter Entgelte. Stattdessen seien auf unregelmäßige Verwahrverträge die Vorschriften zum Darlehen anzuwenden. Nach diesen Vorschriften zähle die Zinslast zu den  Hauptleistungspflichten des Darlehensnehmers, hier der beklagten Bank und nicht zu den Pflichten des Kapitalgebers. Damit liefe die Klausel dem gesetzlichen Leitbild zuwider. Bei der Verwahrfunktion handele es sich nach Auffassung des Gerichts auch nicht um eine zusätzlich angebotene Sonderleistung, die der Kunde annehmen kann oder nicht.

Wörtlich führt die Kammer weiter aus:

"Vorliegend  überwiegt das Interessen der beklagten Bank daran, das überlassene  Kapital nicht ohne Refinanzierungsmöglichkeit verwahren zu müssen, nicht  das Interesse des Kunden, Liquidität auf seinem Girokonto vorzuhalten.  Die Frage, ob und wie das überlassene Kapital gewinnbringend genutzt  werden kann, fällt grundsätzlich in die Sphäre der Beklagten. Dasselbe  gilt spiegelbildlich für die durch die Verwahrung verursachten  (Betriebs)Kosten. Es ist kein Grund ersichtlich, aus dem heraus die  Beklagte einen Teil ihres Geschäftsrisikos in Form eines Verwahrentgelts  auf die Kunden abwälzen könnte. Sofern es sich um Altverträge handelt, realisiert sich das von der Beklagten zu tragende Geschäftsrisiko. Bei  erst kürzlich geschlossenen Verträgen ging die Beklagte ein solches Risiko angesichts der bereits seit mehreren Jahren andauernden  Niedrigzinsphase bewusst ein. Zudem besteht für die Beklagte die  Möglichkeit, sich durch Kündigung von ihren Verpflichtungen zu lösen oder mit einem nachdrücklichen Hinweis auf diese Möglichkeit den  Abschluss ergänzender Entgeltvereinbarungen durchzusetzen. Schließlich  ist auch der Umstand nicht aus dem Blick zu verlieren, dass die EZB  nicht für das gesamte bei ihr hinterlegte Kapital "Strafzahlungen"  verlangt, sondern den Banken Freibeträge gewährt, wodurch sich der  Nachteil für die Beklagte relativiert."