Verluste beim Online-Glücksspiel ohne nationale Konzession: Wer haftet, wenn der Anbieter insolvent ist? Der EuGH soll klären, ob Geschäftsführer einer maltesischen Glücksspielgesellschaft persönlich für Spielverluste eines österreichischen Verbrauchers haften können – und welches Recht anzuwenden ist.
Die massenhaften Rückforderungsverfahren gegen Anbieter illegaler Online-Glücksspiele schlagen inzwischen hohe juristische Wellen bis vor den Europäischen Gerichtshof. Ein aktuelles Vorabentscheidungsersuchen des Obersten Gerichtshofs (OGH) Österreich beleuchtet dabei eine besonders brisante Konstellation: Die persönliche Haftung von Geschäftsführern eines inzwischen insolventen Glücksspielanbieters mit Sitz in Malta für Spielverluste eines Verbrauchers in Österreich.
Ausgangslage: Rückforderung von Verlusten trotz Insolvenz der Anbieterin
Der Kläger, ein österreichischer Verbraucher, hatte über mehrere Monate an Online-Glücksspielen auf der Plattform „drueckglueck.com“ teilgenommen. Betreiberin war die in Malta ansässige Gesellschaft Titanium Brace Marketing Ltd., die jedoch über keine Konzession nach österreichischem Glücksspielrecht verfügte – ein Umstand, der in Österreich zur Nichtigkeit des Glücksspielvertrages führen kann.
Da Titanium inzwischen insolvent ist und eine Rückforderung gegen die Gesellschaft leerzulaufen droht, verklagte der Kläger die beiden Geschäftsführer persönlich auf Schadensersatz in Höhe seiner Spielverluste (rund 18.500 €) – gestützt auf eine unerlaubte Handlung (§§ 1301, 1311 ABGB) wegen Verstoßes gegen Schutzgesetze.
Kernfragen: Welches Recht gilt? Und fällt die Geschäftsführerhaftung unter das Gesellschaftsstatut?
Der Oberste Gerichtshof legte dem EuGH zwei entscheidende Fragen vor:
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Fällt eine solche Geschäftsführerhaftung überhaupt in den Anwendungsbereich der Rom II-Verordnung (VO (EG) Nr. 864/2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht), oder greift die Ausnahme für gesellschaftsrechtliche Verpflichtungen (Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom II-VO)?
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Falls die Rom II-VO anwendbar ist – welches Recht ist maßgeblich? Das österreichische, in dem der Schaden entstand, oder das maltesische, in dem sich der Geschäftssitz, die Server und das Spielerschutzkonto befinden?
Der Standpunkt des Generalanwalts: Deutliche Position zugunsten der Verbraucherrechte
In seinen Schlussanträgen vom Frühjahr 2025 schlägt der Generalanwalt dem EuGH vor, beide Fragen im Sinne des klagenden Spielers zu beantworten:
1. Keine gesellschaftsrechtliche, sondern deliktische Haftung
Die Ausnahme des Art. 1 Abs. 2 lit. d Rom II-VO greift nur, wenn die geltend gemachte Pflicht aus der Organstellung des Geschäftsführers resultiert – also typische gesellschaftsinterne Pflichten betrifft. Wird der Geschäftsführer jedoch für den Verstoß gegen ein allgemeines gesetzliches Verbot (hier: das Glücksspielmonopol in § 3 GSpG) in Anspruch genommen, handelt es sich um eine deliktische Haftung, die nicht vom Gesellschaftsstatut erfasst ist. Die Rom II-Verordnung ist daher anwendbar.
2. Schaden tritt am Wohnsitz des Verbrauchers ein
Das auf die unerlaubte Handlung anwendbare Recht bestimmt sich nach Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO nach dem Ort, an dem der Schaden eintritt. Der Generalanwalt stellt klar: Der „Schaden“ liegt nicht im Verlust auf einem Konto in Malta, sondern in der Teilnahme an einem illegalen Glücksspielangebot.
Da der Kläger die Spieleinsätze von Österreich aus tätigte, wo er auch seinen Wohnsitz hat, ist österreichisches Recht anzuwenden. Dies steht auch im Einklang mit dem Schutzzweck des österreichischen Glücksspielgesetzes und dem Grundsatz der Vorhersehbarkeit für den Schädiger.
3. Keine Ausweichklausel zugunsten maltesischen Rechts
Auch die Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO, die bei einer „offensichtlich engeren Verbindung“ zu einem anderen Staat ein Abweichen vom Schadensort erlaubt, greift nicht. Die Ausrichtung des Angebots auf den österreichischen Markt (z. B. durch Sprache, Werbung, Domain) begründet eine ausreichende Verankerung im österreichischen Rechtskreis.
Bedeutung für die Praxis: Geschäftsführer im Fokus der Rückforderungsklagen
Der Fall hat über den konkreten Einzelfall hinaus weitreichende Implikationen (auch für Deutschland):
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Neue Angriffsebene: Kläger müssen sich nicht mehr auf eine Rückforderung gegen die Anbieterin beschränken, sondern können auch Geschäftsführer in Haftung nehmen – insbesondere nach Insolvenzen.
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Haftungsmaßstab nach nationalem Recht: Wenn das nationale Recht deliktische Geschäftsführerhaftung kennt (wie § 1311 ABGB oder § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. Schutzgesetzen), kann eine persönliche Haftung auch unabhängig vom Gesellschaftsstatut begründet sein.
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Stärkung der gerichtlichen Durchsetzbarkeit: Auch in Staaten, in denen Vollstreckung wegen restriktiver Regelungen (z. B. „Bill 55“ in Malta) erschwert ist, kann der Rückgriff auf Geschäftsführer in anderen Ländern eine effektive Alternative darstellen.
Fazit: Rom II eröffnet den Weg zur Geschäftsführerhaftung bei illegalem Glücksspiel
Die Schlussanträge des Generalanwalts setzen ein klares Signal: Der Schutz der Verbraucher vor illegalem Online-Glücksspielangebot hat Vorrang vor formalgesellschaftlichen Abgrenzungen. Geschäftsführer, die sich aktiv an der konzessionslosen Vermarktung von Glücksspielen in anderen EU-Staaten beteiligen, müssen damit rechnen, persönlich nach dem dortigen deliktsrechtlichen Haftungsregime in Anspruch genommen zu werden.
Ob der Europäische Gerichtshof dieser Linie folgt, bleibt abzuwarten. Die Entscheidung ist jedoch richtungsweisend – nicht nur für Glücksspielanbieter, sondern auch für den Umgang mit grenzüberschreitenden Insolvenzrisiken und Geschäftsführerverantwortung in digitalen Geschäftsmodellen.